Hochwasserkatastrophe: Kiesgrube Erftstadt-Blessem ist Beispiel für RWE-Lobbypolitik

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Luftaufnahme der Kiesgrube Blessem vor der Hochwasserkatastrophe 2021

Die Bezirksregierung Köln wies voriges Jahr den Ausbauplan von RWE wegen Tabuzone „Überschwemmungsgebiet“ zurück. Die Stadt Erftstadt war damit nicht einverstanden, obwohl sie bereits 2012 zusätzlichen Hochwasserschutz als erforderlich ansah.

Köln, 17.08.2021 – Die Fraktion DIE LINKE. / Volt begrüßt die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und die Aufarbeitung durch das Umweltministerium NRW zu den Hintergründen der Kiesgrube in Erftstadt-Blessem. Noch im März 2020 haben sich CDU, FDP und Freie Wähler sowie Bürgermeisterin Carolin Weitzel zusammen mit RWE für den Ausbau der Kiesgrube eingesetzt, obwohl die Bezirksregierung Köln aufgrund der Tabuzone „Überschwemmungsgebiete“ ablehnte.

„Viele Einwohner Blessems haben bei der Hochwasserkatastrophe alles verloren und konnten nicht mal ein paar Habseligkeiten retten. Es ist die Pflicht des Rechtsstaates hier für Aufklärung zu sorgen – und daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen“, so Fraktionsvorsitzender Friedrich Jeschke, der sich in den vergangenen Wochen mit den öffentlich zugänglichen Unterlagen beschäftigt hat. „Es gab bereits 2012 die Forderung im Ausschuss für Stadtentwicklung der Stadt Erftstadt, den Hochwasserschutz im Erftoberlauf zu erweitern. Unsere Fraktion will nun wissen, was seither konkret unternommen wurde.“ Ein entsprechender Antrag der Fraktion DIE LINKE. / Volt wurde für die öffentliche Sitzung des Regionalrates am 24.09.2021 gestellt.

Kiesgrube sollte erweitert werden

CDU, FDP und Freie Wähler unterstützten den Plan der Rheinische Baustoffwerke GmbH, die zum RWE-Konzern gehört, und beschlossen im Mai 2019, dass die Kiesgrube in Erftstadt-Blessem erweitert werden sollte. Die Bezirksregierung Köln lehnte den Plan aufgrund der Tabuzone „Überschwemmungsgebiete“ sowie „mangelnder Ergiebigkeit” ab – woraufhin in einer Stellungnahme am 09.11.2020 die Stadt Erftstadt um eine erneute Überprüfung der Entscheidung bat, da man politisch anderer Meinung sei.

„Politische Entscheidungen müssen auf Fakten basieren und in diesem Fall sprachen sie gegen eine Erweiterung. Doch für CDU, FDP und Freie Wähler sowie Bürgermeisterin Carolin Weitzel waren die Interessen des RWE-Konzerns offenbar wichtiger als die Schutzgüter Mensch und Umwelt“, so Jeschke.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Haltung und daraus resultierende Beschlussfassungen des Stadtrates in Erftstadt den Interessen der Rheinische Baustoffwerke GmbH (RWE Konzern) entsprechen, sodass die seitens der Bezirksregierung Köln erhobenen Einwände nicht akzeptiert wurden. Die endgültige Entscheidung des Regionalrates zur Erweiterung der Kiesgrube steht noch aus.

Zum Hintergrund

Die Fraktion DIE LINKE. / Volt im Regionalrat Köln beschäftigt sich im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit mit der Kiesgrube in Erftstadt-Blessem. Bei der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 – aufgrund der jährlich zunehmenden Starkregenereignisse – kamen in Deutschland etwa 200 Menschen ums Leben, ein Viertel davon im Regierungsbezirk Köln. Glücklicherweise gab es im Ortsteil Erftstadt-Blessem keine Todesopfer zu beklagen, allerdings bisher nicht bezifferbare Schäden. Insbesondere die örtliche Kiesgrube hat es in die weltweiten Medien geschafft, da sie eine regelrechte Sogwirkung entwickelte, wodurch mehrere Häuser einstürzten und weitere nicht mehr bewohnbar sind. Die Existenzgrundlage der Menschen wurde schwer getroffen oder komplett zerstört.

Als kleine Fraktion mit oppositionellem Charakter, können wir dabei nur auf die öffentlich zugänglichen Informationen zurückgreifen und damit die notwendige Aufklärung unterstützen und Maßnahmen vorschlagen, die bei zukünftigen Ereignissen die Menschen besser schützen. Es ist unsere politische Verpflichtung, die Fragen dazu zu stellen.

Hier stellen wir die unserer Ansicht nach relevanten Fragen zur Verfügung, und wollen damit die Aufklärung unterstützen. Eine Aufarbeitung ist zwingend erforderlich. Eine konkrete Schuldzuweisung ist dabei weder möglich noch unsere Absicht, gleichwohl müssen politische Akteure und Verwaltungen nun Fragen beantworten. Die wichtigsten Unterlagen können unter folgendem Link heruntergeladen werden: https://linke-volt-regionalrat.koeln/Dossier-Kiesgrube-Blessem

Vor allem zwei Fragen haben sich bei der Recherche herauskristallisiert:

  1. Wurden geeignete und erforderliche Hochwasserschutzmaßnahmen getroffen?
  2.  Welche Gründe bewegen CDU, FDP und Freie Wähler sowie die Bürgermeisterin, die Interessen der Betreiberfirma Rheinische Baustoffwerke GmbH, die zum RWE-Konzern gehört, über die Schutzgüter Mensch und Umwelt zu stellen?

 Erste Hinweise bei der Planfeststellung 

 Im Planfeststellungsbeschluss durch das Landesoberbergamt NRW aus dem Januar 1998 finden sich erste Hinweise auf die besondere Bedeutung des Hochwasserschutzes in dem Gebiet:

 […] Die Erweiterungsfläche liegt im gesetzlich festgelegten Überschwemmungsgebiet der Erft. Bei extremem Hochwasser könnte der Raum zwischen Erft und Oberkantenverwallung als Überflutungsraum genutzt werden. […]

 

[…] Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß Belange des Hochwasserschutzes dem Vorhaben entgegenstehen. Die betreffende Hochwasserschutzverordnung ist 1926 ergangen. Seitdem haben sich die tatsächlichen Verhältnisse erheblich verändert. Im Hochwasserschutzgebiet wurden nicht nur Bauten wie insbesondere die Autobahnen A1 und A61 errichtet, sondern auch Hochwasser-Rückhalteeinrichtungen, z.B. das Rückhaltebecken Eicherscheid, geschaffen. Im übrigen ist die Erft im gesamten Bereich auf ein HQ 100 ausgebaut. Die Voraussetzungen für eine Genehmigung gem. §113 LWG liegen daher vor. […]

Offene Fragen:

  • Welche fortlaufende Betrachtung hinsichtlich des Hochwasserschutzes zu der Kiesgrube gab es?
  • Wurde dabei die nahegelegene Siedlungsfläche berücksichtigt und welche Konsequenzen ein extremes Hochwasser darauf haben könnte?

Unklar: Hauptbetriebserlaubnis & Hochwasserschutz

Bevor die Kiesgrube in Blessem an die Rheinischen Baustoffwerke GmbH (RWE-Konzern) überging, war die Betreiberfirma die Blatzheimer Sand- und Kieswerke Jakob H. G. Nowotnik.  In der 11. Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung der Stadt Erftstadt am 13.03.2012 wurde seinerzeit wie folgt beschlossen:

Die Stadt Erftstadt erhebt gegen den Hauptbetriebsplan 2011-2016 des bestehenden Quarzkiestagebaus Erftstadt-Blessem der Firma Blatzheimer Sand- und Kieswerke Jakob H. G. Nowotnik keine Bedenken. Die Verwaltung wird gebeten, sich mit der Bezirksregierung Arnsberg in Verbindung zu setzen und einen entsprechenden Prüfungsbericht vorzulegen.

In der Begründung zu diesem Entschluss findet sich folgende Passage:

Im Rahmen der Hochwasserdiskussion wurde aber deutlich, das zum Schutz von Blessem/Frauenthal die Schaffung weiterer Retentionsflächen im Erftoberlauf erforderlich ist.

Die Jahresberichte des Erftverbands weisen einen Ausbau der Retentionsflächen aus, doch ist nicht ersichtlich, was genau wo vorgenommen wurde und ob diese Maßnahmen mit den 2012 als erforderlich bezeichneten Schritten in Zusammenhang stehen.

Zahlen des Erftverbands (Quelle: verfügbare Jahresberichte):

Die Zahlen beziehen sich auf den gesamten Erftverband. Auffällig ist, dass das Stauvolumen der Regenbecken rückläufig ist – und die Jahre 2019 und 2020 laut Jahresbericht Wiedersprüche aufweisen.

Zur Einordnung: Ein Schwimmbecken der Olympianorm mit 50 Metern Länge, 20 Metern Breite und 2 Metern Tiefe hat ein Fassungsvermögen von 2.000 m³. Vereinfacht gesagt ist in fünf Jahren ein Schwimmbecken für Hochwasserrückhaltung dazu gekommen und mehr als vier Schwimmbecken weniger für die Regenrückhaltung.

Offene Fragen

  • Wo findet sich die Beschlussfassung des Hauptbetriebsplanes für die Rheinische Baustoffwerke GmbH (RWE-Konzern) für die Jahre 2016–2021?
  • Welche Anmerkungen werden darin seitens des Hochwasserschutzes getroffen?
  • Welche Hochwasserschutzmaßnahmen, wie z.B. die konkret angesprochenen Retentionsflächen, wurden seitens des Erftverbands tatsächlich geschaffen?
  • Welche Schritte hat die Stadt Erftstadt hier unternommen, um die bereits 2012 als notwendig beschriebenen Maßnahmen zu verwirklichen?

Stadt Erftstadt drängte noch 2020 auf Ausbau

CDU, FDP und Freie Wähler im Rat der Stadt Erftstadt unterstützten den Erweiterungsplan der Rheinischen Baustoffwerke GmbH (RWE-Konzern) und beschlossen im Mai 2019, dass die Kiesgrube in Erftstadt-Blessem erweitert werden sollte. Eine Änderung des Regionalplanes ist dazu notwendig.

Die Bezirksregierung Köln lehnte den Plan aufgrund der Tabuzone „Überschwemmungsgebiete“ sowie mangelnder Ergiebigkeit ab – woraufhin in einer Stellungnahme am 09.11.2020 die Stadt Erftstadt um eine erneute Überprüfung der Entscheidung bat, da man politisch anderer Meinung sei. Für die Stellungnahme stimmten CDU, FDP, Freie Wähler und Bürgermeisterin Carolin Weitzel.

In der Stellungnahme der Stadt steht:

[…] Es wird jedoch angeregt, den Planentwurf hinsichtlich der gemeldeten Abgrabungsinteressen an den Standorten in Erftstadt-Blessem […] erneut zu überprüfen. […]

In Blessem wurde lediglich die bestehende (genehmigte) Abgrabungsfläche als BSAB [Bereiche für die Sicherung und den Abbau oberflächennaher Bodenschätze] übernommen. Die geplante Erweiterung des BSAB wurde aufgrund einer Tabuzone (Überschwemmungsgebiet) und mangelnder Ergiebigkeit nicht berücksichtigt. Vor dem Hintergrund der politischen Zustimmung für die nordöstliche Erweiterung, hält die Stadt Erftstadt an der im Rahmen der frühzeitigen Beteiligung eingereichter Stellungnahme fest und schließt sich der Stellungnahme der Rheinischen Baustoffwerke an. […]

Ergänzende Auszüge aus der Begründung zur Beschlussfassung der Stellungnahme:

[…] Das Abgrabungsunternehmen Rhiem & Sohn in Erp sowie die Rheinischen Baustoffwerke in Blessem wollen jeweils an der gemeldeten Darstellung festhalten und nehmen infolge dessen in Abstimmung mit der Verwaltung Stellung zum Planentwurf. Vor dem Hintergrund eines „lokalen Konsens“ sowie der bereits eingeholten politischen Zustimmung für die beabsichtigten Erweiterungen der Abgrabungsunternehmen hat auch die Verwaltung unter Vorbehalt im Rahmen der öffentlichen Auslegung ihrer Stellungnahme und somit an den abgestimmten Abgrabungsinteressen aus der frühzeitigen Beteiligung (s.a. V 75/2029) festgehalten.

Im Hinblick auf die Umweltauswirkungen hält die Verwaltung ebenfalls an der Vorgabe fest, dass nach Abschluss der Abgrabung eine Renaturierung durchzuführen ist. Auf diese Weise soll durch eine landschaftliche Anreicherung eine erhebliche Umweltverbesserung erzielt werden.


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